Christina Benz
SHIFTING SANDS 
Wild Card 9, Strauhof
22.-28. September 2019
Die bildende Künstlerin Christina Benz zeigt im Rahmen der Wild Card 9 im Strauhof eine neue Werkgruppe, in der fantastische, alltägliche und absurde Geschichten zum Thema ‘Life is too short’ in Form von Kurzfilmen erzählt werden. Während das Filmmaterial von der Künstlerin mit schwarzem Sand gezeichnet und in Stop-Motion-Technik animiert wurde, entstammen Narration und Vertonung der intensiven Zusammenarbeit mit Schweizer Autor*innen und Musiker*innen: Gion Mathias Cavelty und Fatima Dunn, Judith Keller und Nicole Johänntgen, Patric Marino und Oli Kuster (Electro-Poetry-Duo «Die Astronauten»).

Für die in Zürich lebende Künstlerin ist die Auseinandersetzung mit den Ausdruckmöglichkeiten und den Grenzen der bewegten Bilder von zentraler Bedeutung, sodass ihre bisherigen Arbeiten hauptsächlich Videoarbeiten und Videoinstallation umfassten. In den letzten Jahren entwickelte Christina Benz zudem ein ausgesprochenes Interesse für das Zeichnen, woraus eine Serie von zeichnerischen Arbeiten auf Papier (Fluke) entstand und sie sich die Technik der Sandanimation aneignete. 

Bei der zeitaufwendigen und präzisen Erstellung einer Sandanimation schafft die Künstlerin, mit Hilfe von Schablonen, Pinseln und den eigenen Händen, zahlreiche einzelne Bilder aus schwarzem Sand. Die auf weissem Papier gezeichneten und von oben beleuchteten Einzelbilder werden fotografisch aufgenommen, um später zu einer animierten filmischen Sequenz zusammengesetzt zu werden. «Shifting Sands» entspringt dem Wunsch, diese spezifische Technik weiter auszuloten und das aufeinander Wirken von Sprache und Musik in Kombination mit den von der Künstlerin kreierten Bildwelten zu untersuchen. 

In diesem Sinne bildet die Zusammenarbeit mit hiesigen Schriftsteller*innen und Musiker*innen die Basis für die vielgestaltige Entwicklung von Kurzfilmen zum Thema ‘Life is too short’, aus der die im Strauhof gezeigten Filme entstanden sind: Fulesee, G, und Berta, Hingegen Jonas, aber Frau Wohlgemut (noch in Bearbeitung). Bei allen drei Werken steht die Gleichwertigkeit der involvierten Disziplinen im Vordergrund, weshalb jeder Animationsfilm eine eigene Bildsprache, eine eigene Stimme und einen ganz individuellen Klang besitzt. Während die jeweils von der Autorin bzw. dem  Autoren selbst gesprochenen Stimmen den Erzählstil und die konkrete Themensetzung der Geschichten prägen, sind Musik und Bildsprache für Nuancen, Details und weitere Verweise verantwortlich. Obwohl die Filme sich thematisch und stilistisch stark von einander unterscheiden, hinterlassen alle Arbeiten bei genauer Betrachtung einen wittgensteinschen Eindruck von Unsagbarkeit, verbunden mit einer existentiellen Starrheit, mit denen die Betrachtenden auf verschiedenen Hinsichten konfrontiert werden. 

Fulesee ist die Bühne, auf der sich der Sonntagsausflug zweier Taucher abspielt. Anfangs versteht sich das Duo wortlos, alles scheint ‘okay’. Doch der Tauchgang führt die Protagonisten nicht nur zu Fischen und in die Dunkelheit, sondern auch in seelische Abgründe. In der Tiefe kommen plötzlich Ängste und Geschichten hoch, für die sich in der Tauchersprache keine Zeichen finden.
‘G’ steht buchstäblich am Anfang des Kurzfilmes G, in dem, von der kabbalistischen Tradition ausgehend, eine Geschichte zur Entstehung des Universums erzählt wird. „Im Anfang war der Buchstabe.“ verkündet die männliche Stimme gleich zu Beginn. „Genauer gesagt: nur ein Buchstabe. Der Buchstabe ‘G’. So sagen es die ältesten Kabbalisten“. Nur so konnte es zur Geburt von Gott kommen und folglich der Entstehung des Universums. Doch was passiert, wenn dieses grösser und grösser werden will, wortwörtlich dem Grössenwahn verfällt? 

Im Film Berta, hingegen Jonas, aber Frau Wohlgemut  begegnet das Publikum drei Figuren. Berta muss noch viel erledigen, bis sie das Gefühl hat, gelebt zu haben. Sie ist von den verschiedenartigsten Gedanken getrieben, wie zum Beispiel erst noch eine Kuh melken zu müssen und völlig verrückt abtanzen zu wollen, ihre eigene Meinung auszudrücken und mit einem Frachtschiff zu fahren. Jonas hat hingegen keine Zeit zu sterben. Frau Wohlgemut bemerkt an ihrem achtzigsten Geburtstag, dass die goldene Seite ihres Lebens ihr erst noch bevorsteht. Unterscheiden sich die drei Figuren grundsätzlich oder sind die dargestellten Verschiedenheiten nur der Schein einer wesentlichen Ähnlichkeit? 

Mit dem Ausstellungsprojekt «Shiftig Sands» inszeniert Christina Benz ihre neuen filmischen Werke ortspezifisch im Strauhof. Das Format «Wild Cards» des Literaturmuseums bietet Kunstschaffenden aus den unterschiedlichsten Branchen Räumlichkeiten für jeweils eine Woche, sodass agile und experimentelle Zugänge zur Literatur ermöglicht werden. Ganz im Sinne dieses besonderen Formats zeigt «Shifting Sands» einen laufenden Arbeitsprozess, der die Kunstformen der Zeichnung, Lyrik und Musik vereint und deren Wechselwirkungen gleichzeitig auszuloten versucht.

Während Fulesee und G in einer eher traditionellen Ausstellungssituation im Erdgeschoss eingebettet sind, werden im ersten Stockwerk offenere und teilweise interaktive Formen der Präsentation erprobt. Die dort ausgestellten zeichnerischen Werke der Serie Fluke, zusammen mit den gezeigten Arbeitsmaterialien gewähren erhellende Einblicke in die künstlerische Praxis von Christina Benz sowie in den kreativen Entstehungsprozess der Animationsfilme. Durch Einbezug von zahlreichen performativen Komponenten, stehen den Ausstellungsbetrachtenden zusätzliche Wahrnehmungs- und Rezeptionsmöglichkeiten zur Verfügung. Besucher*innen können aktiv auf die Weiterentwicklung des Kurzfilms Berta, hingegen Jonas, aber Frau Wohlgemut  wirken, indem sie Vorschläge für Jonas ‘bucket list’* einbringen, oder die eine oder andere im Projekt involvierte Kunstschaffende direkt bei der Arbeit betrachten und mit ihr interagieren. Ferner bietet das reiche Rahmenprogramm nahezu täglich Gelegenheiten, die diversen Akteur*innen live zu erleben, um dadurch eine tiefere Rezeption der gezeigten Arbeiten zu erlangen oder Einblicke in neue Projekte zu gewinnen. 

Anlässlich der Vernissage findet eine Work-in-Progress Lesung von Gion Mathias Cavelty mit Skizzen von Christina Benz und Musik von Nicole Johänntgen statt, an der die Anwesenden einen kleinen Vorgeschmack von der sich noch in der Entstehungsphase befindenden Arbeit GGG bekommen werden. Es handelt sich dabei um ein neues Projekt, das als Fortsetzung des filmischen Werks G betrachtet werden kann. 

Während der Wild Card 9 werden Christina Benz und Judith Keller vor Ort eine neue Zusammenarbeit angehen, bei der die Autorin Keller auf die organisch anmutenden Zeichnungen von der Serie Fluke sprachlich reagieren wird. Die ersten Ergebnisse dieser neuen Kollaboration werden an der Finissage im Rahmen einer performativen Lesung präsentiert.

Mit der Veranstaltung von Sabine Gysi, Initiantin der nomadischen Auftrittsplattform für Spoken-Word-Poeten Salonpalaver, werden die auftretenden Gäste Gianna Olinda Cadonau, Tim Krohn, Niko Stoifberg und Martial In-Albon mit neuen Themen, Stimmen und Klängen den roten Faden von «Shiftig Sands» weiterspinnen. 

Text: Irene Grillo (Kuratorin)




 *Liste von Dingen, die man noch tun möchte, bevor ein bestimmtes Alter erreicht wird.


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